Wie hoch müssten CO2-Preise sein, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen?
Erkenntnisse aus der Modellierung mit dem Energiesystemmodell TIMES PanEU
Der Gebäude- und der Verkehrssektor sind derzeit für circa ein Drittel der CO2- Emissionen in Deutschland direkt verantwortlich. Es gibt eine Vielzahl unterschiedliche Politikinstrumente, um dies zu ändern bzw. hierauf Einfluss zu nehmen. Eines davon ist die CO2-Bepreisung für die Sektoren Gebäude und Verkehr, die mit dem 2019 beschlossenen Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ab 2021 in Deutschland eingeführt wurde.
Im zweiten Jahr nach Einführung der Abgabe kostet eine Tonne emittiertes CO2 in diesen beiden Sektoren 30 € /t CO2. Der Preis steigt bis 2025 sukzessive auf 55 € pro Tonne an. Für 2026 soll sich der Preis am Markt über Versteigerungen bilden, hierfür ist aber noch ein Preiskorridor zwischen 55 und 65 € vorgesehen. Darüber hinaus gibt es noch keine Festlegungen.
Klar ist jedoch, dass das derzeitige Preisniveau nicht ausreicht, um lediglich mittels CO2-Bepreisung den Weg zur Klimaneutralität zu beschreiten. Dabei wäre es auch möglich, CO2-Preise nicht stark steigen zu lassen, dann müssten allerdings andere Politikinstrumente (z.B. Verbot fossiler Brennstoffe, gesetzliche Vorgaben zu Energieeffizienzstandards, Förderung und Informationsangebote u.a.) stärker genutzt werden.
Mittels der Energiesystemanalyse können Erkenntnisse darüber erlangt werden, wie hoch CO2-Preise sein müssten, um mit dem alleinigen Politikinstrument CO2-Preis die jeweiligen Klimaziele zu erreichen. Hierfür wird im Projekt „CO2-Preis“ das Energiesystemmodell TIMES PanEU verwendet.
Das Energiesystemmodell TIMES PanEU
Energiesystemmodelle erlauben es, auf wissenschaftlich fundierter Basis, unter anderem Wenn-Dann-Analysen durchzuführen. Zudem lassen sich verschiedene Szenarien miteinander vergleichen. So können Rückschlüsse auf mögliche technische, politische oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen gezogen werden.
Das Energiesystemmodell TIMES PanEU umfasst 30 Regionen: Alle EU-Staaten, sowie die Schweiz, Norwegen und Großbritannien. Dabei sind alle relevanten Sektoren enthalten, so zum Beispiel der Rohstoffbereitstellungssektor, die öffentliche und industrielle Strom- und Wärmeerzeugung, die Industrie, den Gewerbe-, Handel, Dienstleistungssektor, die Haushalte und den Transportsektor (vgl. Abbildung 1).
Im Modell ist ein vollständiger Wettbewerb zwischen den verschiedenen Technologien unterstellt. Das bedeutet, dem Modell stehen viele Technologien zur Verfügung, um eine bestimmte Nachfrage, wie zum Beispiel Beleuchtung oder Mobilität, zu befriedigen. Das Modell bestimmt den optimalen Transformationspfad mit den niedrigsten gesamten Systemkosten. Durch die Einführung von CO2-Preisen verschiebt sich dieses Optimum zu Ungunsten fossiler Brennstoffe. Durch Analyse der Ergebnisse verschiedener CO2-Preispfade können Aussagen über die Wirksamkeit von CO2-Preisen getroffen werden.
Dabei bildet das Modell die Gesamtsystemebene und deren mögliche Pfade ab. Das heißt beispielsweise, Raumwärme kann durch unterschiedliche Technologien (z.B. Ölheizung, Gastherme, Wärmepumpe, etc.) bereitgestellt oder teilweise durch energetische Sanierung an der Gebäudehülle reduziert werden. Dabei wird nicht nur berücksichtigt, welche Technologie die günstigsten Kosten für Investition und Betrieb hat. Nehmen wir das Beispiel einer Wärmepumpe: Die Wärmepumpe selbst hat spezifische Investitionskosten und Kosten für Wartung und Betrieb. Die benötigte elektrische Energie, die benötigt wird, muss mittels der im Stromsektor zur Verfügung stehenden Technologien (z.B. Wind, PV, Gaskraftwerk, etc.) erzeugt werden. Zudem wird der Speicherbedarf berücksichtigt, sowie notwendige Erweiterungen am Stromnetz.
Dieses Beispiel zeigt, inwiefern sich TIMES PanEU von anderen Modellen unterscheidet, die zum Beispiel nur die Entscheidung eines Akteurs betrachten, der eine Investitionsentscheidung bezüglich seiner Heizung treffen muss. Modellergebnisse spiegeln immer den kostenoptimalen Pfad unter den vorgegebenen Rahmenbedingen, wie eben der Höhe des CO2-Preises, wider.
Implementierung von CO2-Preispfaden
Für die Analyse werden verschiedene Entwicklungen der CO2-Bepreisung, so genannte CO2-Preispfade, vorgegeben. Es werden 22 verschiedene Preispfade untersucht. Diese sind in Abbildung 2 dargestellt und in Tabelle eins sind die jeweiligen Werte aufgelistet. Dabei sind die Werte nach der Höhe des durchschnittlichen CO2-Preises geordnet. In Abbildung 2 ist die Farbgebung abhängig von der Höhe des Durchschnittspreises, niedrigere durchschnittlichere CO2-Preispfade werden in dunkleren Schattierungen dargestellt.
Dabei stellt jeder gewählte Preispfad ein Szenario dar. Dabei gelten sowohl für die 22 Szenarien mit CO2-Preispfaden als auch für das Referenzszenario die gleichen Rahmenbedingungen. Das Referenzszenario definiert dabei die Ziele, die durch die CO2-Bepreisung erreicht werden sollen. Dabei werden die geltenden politischen Rahmenbedingungen als konstant angenommen und lediglich der CO2-Preispfad wird variiert.
Hierbei gilt für einige Preispfade der für 2025 festgelegte Preis von 55 € pro Tonne CO2. Für andere wiederrum wird untersucht, inwiefern ein frühzeitig hochschnellender CO2-Preis bei der Erreichung der Klimaziele hilfreich sein könnte.
Ergebnisse
Abbildung 3 zeigt die jeweils erreichten CO2-Emissionsniveuas der Preispfade und des Referenzszenarios im Gebäudesektor. Das Referenzszenario stellt hierbei den kostenoptimalen Pfad dar, mit dem die deutschen Klimaziele erreicht werden können.
Dabei zeigt sich, dass von den 22 untersuchten Szenarien nur die Pfade 16, 17 und 18 die CO2-Emissionen des Gebäudesektors unter das Niveau des Referenzszenarios drücken. Dies sind auch die einzigen 3 Preispfade, bei denen die kumulierten Emissionen, also der Summe aller Emissionen über die Zeit, den Wert aus dem Referenzlauf (3265 Mt CO2-Emissionen) unterschreiten. Wie in Tabelle 1 zu sehen ist, haben diese Szenarien mit knapp 300 €/tCO2 den höchsten durchschnittlichen CO2-Preis.
Kurzfristig (2025) sind die Auswirkungen der CO2-Preise jedoch gering, alle Preispfade liegen über der Zielmarke aus dem Referenzlauf. Mittelfristig (2030-2040) liegen die Emissionen für Szenarien mit hohen Preisen jedoch sogar unter denen des Referenzlaufs. Langfristig (2045-2050) werden die Ziele jedoch nur von den ambitioniertesten CO2-Preispfade erreicht.
Neben den resultierenden Emissionsmengen lässt sich auch die Technologiezusammensetzung analysieren. Im Gebäudesektor ist die Bereitstellung von Raumwärme und Brauchwarmwasser, also das Warmwasser für z.B. Duschen oder Abwasch, für einen Großteil der Emissionen verantwortlich. Hier zeigt sich, inwiefern die CO2-Bepreisung Einfluss auf die kostengünstigste Technologie hat.
Dabei stehen fossile Endenergieträger (hauptsächlich Heizöl und Erdgas) regenerativen Energieträgern gegenüber (z.B. Umweltwärme, Biomasse, Solarthermie). Dabei ist insbesondere die Dynamik der beiden fossilen Energieträger unter verschiedenen CO2-Preisen interessant.
Jede Form der CO2-Bepreisung reduziert den Ölverbrauch gegenüber dem Referenzlauf signifikant. Dabei ist hier insbesondere die Zeit von 2025-2035 bedeutsam. Dort sieht man, dass die CO2-Bepreisung einen deutlichen Effekt auf den Ölverbrauch hat (vgl. Abbildung 4). Der Verbrauch von Öl wird jedoch nicht ausschließlich durch CO2-neutrale Energieträger ersetzt. So setzen insbesondere die Szenarien mit mittelfristig niedrigen CO2-Preisen vermehrt auf Erdgas. Der Endenergieverbrauch der Gebäude, der durch Erdgas abgedeckt wird, ist in Abbildung 5 dargestellt.
Dort sieht man für den Referenzlauf die scharfe Verringerung des Erdgaseinsatzes in der Dekade von 2030-2040. Durch die CO2-Bepreisung verläuft der Erdgas-Ausstieg im Gebäudesektor gradueller, dafür für die meisten Preispfade jedoch auch deutlicher langsamer. Nur die höchsten CO2-Preise schaffen es, Erdgas vollständig zu ersetzen. Um dies noch besser zu veranschaulichen, sollen ausgewählte CO2-Preispfade und ihre Wirkung auf den Gebäudesektor noch detaillierter dargestellt werden.
Für den Preispfad 1 („moderater Preisanstieg” | Durchschn. CO2-Preis 80 €/tCO2) ist der Endenergieverbrauch für Raumwärme und Brauchwarmwasser in Abbildung 6 abgebildet. Hierbei zeigt sich, dass knapp die Hälfte des Energiebedarfs durch fossile Energieträger bereitgestellt wird. Wärmepumpen, und damit Strom als Energieträger, setzen sich kaum durch. Der Rest des Energiebedarfs wird durch Fernwärme und Biomasse sowie Solarthermie bereitgestellt.
Dem gegenüber steht der Preispfad 3 („stetiger Preisanstieg“ | Durchschn. CO2-Preis 180 €/tCO2). Der Endenergieverbrauch für diesen Preispfad ist in Abbildung 7 abgebildet. Fossile Energieträger werden, beginnend mit dem Jahr 2030, mehr und mehr aus dem Gebäudewärmemarkt gedrängt werden und durch elektrische Wärmepumpen ersetzt. Diese dominieren im Jahr 2050 den Heizungsmarkt. Allerdings verblebit ein Rest an fossilem Erdgas, das selbst mit Preisen von 305 €/tCO2 im Jahr 2050 nicht vollständig ersetzt wird.
Den höchsten durchschnittlichen CO2-Preis weist Preispfad 16 („durchgehend sehr hoher Preis“ | Durchschn. CO2-Preis 297 €/tCO2) auf. Der Endenergieverbrauch für diesen Preispfad ist in Abbildung 8 abgebildet. Bei derartig hohen CO2-Preisen wird auch Erdgas so gut wie vollständig substituiert. Darüber hinaus sieht man bereits 2030 einen erheblichen Unterschied auch zu Pfad 3. So ist der Anteil von emissionsfreien Energieträgern nochmals erheblich größer, auch Wärmepumpen setzen sich wesentlich schneller durch.
Eine Sorge, die mit steigenden CO2-Preisen verbunden wird, ist die zunehmende Belastung für Privathaushalte. Diese Belastung lässt sich modelltechnisch unter anderem als Summe der gezahlten CO2-Preise abbilden. Diese Summe lässt sich nicht leicht auf einen bestimmten Haushalt beziehungsweise eine bestimmte Wohn- bzw. Lebenssituation herunterbrechen. Vielmehr ist es ein Durchschnittswert über alle Haushalte hinweg. Dennoch kann dieser Wert Aufschluss darüber geben, welcher CO2-Preispfad im Gebäudesektor sinnvoll sein kann.
Dabei zeigt sich, dass Preispfade mit frühzeitigen hohen CO2-Preisen im Zeitraum von 2020 bis 2030 eine deutlich höhere Belastung bedeuten, die Emissionen aber nur geringfügig stärker gemindert werden. Unsere Modellierung zeigt, dass ein kontinuierlich steigender Preispfad Emissionen ähnlich gut mindert wie ein Pfad mit frühzeitig hohen CO2-Preisen, allerdings mit einer deutlich niedrigeren Belastung. Wichtig für die Zielerreichung sind vor allem langfristig hohe CO2-Preise.
Dies zeigt, dass die CO2-Bepreisung Abwägungen unterliegt, die letzten Endes politisch gelöst werden müssen. Je nach Ausgestaltung der CO2-Bepreisung können die gezahlten CO2-Preise den Bürger*innen auch wieder zu Gute kommen. Dabei ist es auch möglich, dass mittels Rückverteilung ärmere Haushalte sogar entlastet werden können.
Die Erkenntnisse aus der Energiesystemanalyse können wie folgt eingeordnet werden: Das Modell prognostiziert weder die Zukunft noch kann es das private Kaufentscheidungen vorherzusagen. Vielmehr wird unter den gegebenen Rahmenbedingungen ein volkswirtschaftlich optimaler Pfad berechnet. Entscheidungen in der realen Welt können aus verschiedensten Gründen von diesem optimalen Pfad in die eine Richtung (z.B. starkes Umweltbewusstsein, Lust auf neue Technologie) oder die andere (z.B. Vorbehalte gegen neue Technologie, fehlendes Wissen, kein Geld für Investitionen, etc.) abweichen.
Die bisherigen Analysen wurden unter der Annahme der perfekten Voraussicht (Perfect Foresight) berechnet. Das bedeutet, das Energiesystemmodell kennt jederzeit alle Preisentwicklungen, technologischen Entwicklungen und z.B. politischen Vorgaben oder Eingriffe. In der Realität jedoch liegen bei einer Entscheidung nur selten alle relevanten Informationen vollständig vor. Deswegen soll im Projekt das Modell myopisch (=kurzsichtig) gerechnet werden. Das heißt, dem Modell sind die Preisentwicklungen und Anforderungen nur für einen bestimmten Zeitraum (beispielsweise 5 oder 10 Jahre) bekannt.
Außerdem wurden bei dieser Betrachtung die Eigentumsverhältnisse der Wohnungen in Deutschland nicht berücksichtigt. In Deutschland wird mehr als die Hälfte der bewohnten Wohnungen nicht von Eigentümer*innen bewohnt, also vermietet. Im Moment zahlen Mieter*innen den vollen CO2-Preis, haben aber nur wenig Einfluss auf Investitionsentscheidungen. Die Eigentümer*innen haben ihrerseits wenig Anreiz, zu investieren, um die Belastung aus dem CO2-Preis zu kompensieren. Dies bezeichnet man als Mieter-Vermieter Dilemma. Die neue Ampel-Regierung hat dieses Thema in ihrem Koalitionsvertrag aufgegriffen und beschlossen, Eigentümer*innen angemessen an den Kosten zu beteiligen. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Bepreisungsvarianten lassen sich gegeben falls auch modelltechnisch untersuchen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sehr hohe CO2-Preise nötig sind, wenn die CO2-Bepreisung alleine dafür sorgen soll, dass der Gebäudesektor seine Klimaziele erreicht. In der Realität wird sich wahrscheinlich ein Mix aus verschiedenen Politikinstrumenten etablieren, bestehend aus Förderung, Steuern und Abgaben, Ordnungsrecht und Informationen. Dennoch ist es wertvoll zu ermitteln, ab welchen CO2-Preisen es zu substanziellen Änderungen von Investitionsentscheidungen kommt. So lässt sich ein konsistenter Mix aus all diesen Politikinstrumenten entwerfen, das entweder die CO2-Bepreisung als zentrales oder als ein Instrument unter vielen etabliert.
Über Autor*innen und Arbeitspaket:
Als Teil des interdisziplinären Forschungsprojektes „CO2-Preis“ untersucht das Institut für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart im Arbeitspaket 6 „Systemanalysen“ die Auswirkungen von CO2-Preisen auf das Energiesystem. Hierzu wird das Energiesystemmodell TIMES PanEU verwendet.
Autoren:
Alexander Burkhardt arbeitet seit 2021 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IER in Stuttgart. 2018 schloss er sein Masterstudium „Energy Science and Engineering“ an der TU Darmstadt ab. Bis zu seinem Wechsel zum IER arbeitete er als Projektleiter im Bereich Energie/Gas in der Abfallwirtschaft. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die modellbasierte Untersuchung der Energie- und Wärmewende in Deutschland und Europa. Zusätzlich arbeitet er an der allgemeinen Weiterentwicklung des Energiesystemmodells TIMES PanEU (Fokus Deutschland).
Apl. Prof. Dr.-Ing. Markus Blesl leitet die Abteilung „Systemanalytische Methoden und Wärmemarkt“ am IER in Stuttgart. Zu seinen Arbeitsschwerpunkt zählen die modellbasierte Untersuchung der Energie- und Wärmewende in Deutschland und Europa und die Analyse des Wärmemarktes.
Tags: